Bericht einer Lehrerin

Corona und seine Folgen – ein Erlebnisbericht aus der Schule


Tagebuch einer Lehrerin aus Kerpen

Tag -3 (Freitag, der 13. März)
Soeben hat Armin Laschet in seiner Rede am Freitagnachmittag verkündet, dass sich viele Minister für eine Schließung der Schulen ab Montag, den 16.3. bis zu den Osterferien ausgesprochen haben. Nach den Osterferien würde neu verhandelt werden. Die Lage sei sehr ernst, betonte er dabei mehrfach.
Meine beiden Kinder, 12 und 14 Jahre alt, und ich haben die Rede Armin Laschets am Fernseher mitverfolgt. Sie brechen fast in Jubel aus, weil es sich für sie schon nach Ferien anfühlt. Mir wird mulmig bei dem Gedanken, was da wohl noch auf uns zurollen wird. In erster Linie deshalb, weil die Gefahr nicht greifbar ist. Man hört sie nicht, sieht, schmeckt und fühlt sie nicht. Dennoch sind die ergriffenen Maßnahmen so drastisch, dass jedem Erwachsenen mit gesundem Menschenverstand sofort unwohl geworden sein sollte.
Erst nach und nach beginne ich über berufliche Dinge nachzudenken. Natürlich munkelte man zuvor schon über eine mögliche Schulschließung, wollte es aber nicht so richtig wahrhaben. Wie soll nun das Unterrichten und Lernen auf Distanz konkret aussehen? Wann könnten die noch ausstehenden Klassenarbeiten nachgeschrieben werden. Werden Aufgaben für den Sportunterricht möglich sein? Und das Abitur?
Fragen, mit denen sich auch die Bezirksregierung und die Schulleitung ab sofort mit Hochdruck beschäftigen wird.

Tag 1 (Montag, 16.März)
Keine Schüler in der Schule, nur ein paar Fünftklässler, deren Eltern in systemrelevanten Berufen tätig sind und so schnell keine Betreuung organisieren können. Die Lehrer werden für Montag und Dienstag von der Schulleitung einbestellt, um die wichtigsten Dinge für die kommenden drei Wochen zu klären. Die Konferenz wird zwei Mal nacheinander abgehalten. Beim ersten Termin nehmen die Kollegen, deren Nachname mit den Buchstaben A-K beginnt, teil, beim zweiten der Rest, damit der geforderte Abstand von 1,50m auch beim Konferieren eingehalten werden kann. Man einigtsich mehrheitlich auf die Arbeit mit einer Lernplattform – Ausnahmen gibt es allerdings immer. Es werden kollegiumsinterne Fortbildungen dazu angeboten, um sich möglichst schnell in die Programme einarbeiten zu können. Die Ansage lautet, die Schüler möglichst schnell digital mit Aufgaben versorgen, aber keine neuen Inhalte einführen. Wie die Schülerleistungen, die in der Zeit der Schulschließung entstehen, bewertet werden sollen, bleibt unklar. Nach der Konferenz trifft man sich wieder auf engstem Raum im Lehrerzimmer. Abstand halten ist so gut wie unmöglich. Diejenigen, die husten oder ins Taschentuch schnäuzen, werden mit teils panischen, teils bösen Blicken gestraft. 

Tag 3 (Mittwoch, 18. März)
Wir denken uns für zu Hause einen Plan aus. Etwas länger schlafen, dann gemeinsames Frühstück zwischen 8:00 und 9:00 Uhr und Beginn der Arbeit um 9:30 Uhr. Es sollen grundsätzlich die Fächer bearbeitet werden, die laut Stundenplan dran gewesen wären. Der gute Vorsatz ist da. Dennoch läuft das Homeschooling etwas chaotisch an. Meine eigenen Schüler versorge ich bereits zu Beginn der Woche per email mit ein paar Aufgaben mit dem konkreten Hinweis, was für welchen Block gedacht war. Danach will ich mich in Ruhe mit den Möglichkeiten der Lernplattform vertraut machen. Meine Kinder bekommen ihre Aufgaben recht schleppend, mal über diese Plattform, mal über jene, mal per Mail. Ihnen wird trotz der Verzögerung recht schnell klar, dass die kommenden drei Wochen alles andere als Ferien sein werden. 

Tag 15 (30. März)

Es gibt digitale Elternumfragen und Lehrerumfragen, wie es denn so mit dem Homeschooling klappt.
Das Ergebnis zeigt, dass längst nicht alle Schüler so uneingeschränkt digital Zugriff auf ihre Aufgaben haben. Manche Kinder müssen sich mit mehreren Geschwistern einen Computer teilen, den tagsüber dann noch die Eltern im Home-Office belegen.
Entsprechend unterschiedlich trudeln die gemachten Aufgaben bei den Lehrkräften ein, obwohl diese meistens Termine gesetzt haben. Jetzt wird klar, warum die Termine nicht immer eingehalten werden können.
Die Umfrage zeigt aber auch, dass der Umfang der Aufgaben neu abgeschätzt werden muss. Die Schüler schaffen zu Hause im Selbstlernarrangement oft längst nicht so viel, wie gemeinsam mit den anderen in der Schule unter professioneller Anleitung durch den Lehrer.
Und noch mehr Gutes hat die Umfrage: Die Kollegen werden erneut dazu ermuntert, sich nun endlich auf eine bestimmte Lernplattform zu beschränken und darüber ihre Aufgaben zu versenden. Das kann ich in meiner Doppelrolle als Lehrerin und Mutter auch nur sehr begrüßen.

Tag 19 (03. April 2020)

So langsam trudeln die bearbeiteten Aufgaben meiner Schüler vollständig ein. Meistens bestätigt sich der individuelle Eindruck zur Arbeitshaltung, den man vorher im Pärsenzunterricht schon gewonnen hatte, auch digital. Manchmal bin ich allerdings auch überrascht, denn gerade die ruhigeren, gut bis mittelmäßigen Schüler laufen zu Hochform auf.
Ich drucke oldschool-mäßig stapelweise Lösungen aus, da ich sie lieber mit einem richtigen Rotstift korrigiere als direkt am Tablet. Danach scanne ich die Korrektur wieder ein und versehe sie mit möglichst motivierenden Phrasen, um die Schüler bei der Stange zu halten. Mit einem Click landet das Ganze dann per email wieder bei den Schülern. Klingt einfach, kostet mich aber enorm viel Zeit. Ich korrigiere mir die Finger wund und suche fieberhaft nach einer Möglichkeit, mir die Rückmeldungen zu den Schülerleistungen zu erleichtern, um nicht im Korrekturwust zu ersticken.

Tag 22 (06. April 2020)

Endlich Osterferien. Doch eigentlich fühlt es sich gar nicht so an, denn es verändert sich nichts. Man ist immer noch zu Hause, da der geplante Skiurlaub nach Ischgl ja bekanntlich unmöglich ist. Also arbeite ich noch die letzten Korrekturen ab. Die Kinder schlafen morgens ein bisschen länger. Das Wetter zeigt sich glücklicherweise von seiner besten Seite. Die Temperaturen klettern täglich über die 20 Grad-Marke. Nach und nach kehrt Entspannung ein. So langsam vermissen meine Kinder das Fußballtraining im Verein, aber ansonsten sind sie mit der eingeschränkten Situation ganz zufrieden. Das Familienleben war selten so harmonisch und entspannt.


Tag 32 (16. April 2020)
Mit Spannung verfolgen wir wieder die Nachrichten. Heute soll verkündet werden, wie es nach dem Ende der Osterferien weitergehen soll. Die Minister sind sich nicht ganz einig. Die meisten raten jedoch wie die Bundeskanzlerin weiterhin zu Vorsicht. Nur Armin Laschet will schneller als alle anderen die Schulen und Kindergärten in NRW öffnen und die Wirtschaft in Gang bringen und zwar ab Montag: zuerst für die Abiturienten, dann ab dem 4. Mai für die Abschlussklassen des Folgejahres, danach irgendwann für alle anderen. 
Für uns Lehrer und die Schulleitung bedeutet die schrittweise Schulöffnung ab dem 20. April enormen Stress. Die Hygienepläne werden von der Schule selbst mit heißer Nadel gestrickt. Die Umsetzung der Pläne bleibt ebenfalls spannend, denn nahezu täglich gibt es seitens der Politik und der Bezirksregierung neue Vorgaben.

Tag 36 (20. April)
Wir treffen uns mit Mundschutz und einem Zollstock bewaffnet mit ein paar Kollegen in der Schule, um gemeinsam mit der Schulleitung Tische und Stühle in den Klassenräumen so weit voneinander entfernt zu positionieren, dass der Sicherheitsabstand von 1,5m der Lernenden zueinander zu jederzeit eingehalten werden kann. 
Den neuen Raumplan halten wir skizzenhaft auf einem Blatt Papier fest. Zwischendurch passiert es uns immer wieder, dass wir die Stifte zum Zeichnen untereinander austauschen, obwohl gerade das laut Hygieneplan vermieden werden soll. Ich stelle mir die Frage, wenn wir das als Lehrer schon nicht schaffen, wie sollen es dann unsere Schüler hinkriegen.
Die Putzkolonne ist ebenfalls im Gebäude unterwegs und reinigt gründlicher als sonst vor allem die Türklinken, Geländer, Tische und Stühle. 
Die Treppenhäuser und der Verwaltungstrakt wurden durch den Aushilfshausmeister bereits mit Klebeband versehen, was das Abstandhalten vereinfachen soll. Unsere eigentlichen beiden Hausmeister haben bereits die magische Grenze von 60 Jahren überschritten und gehören somit zur Risikogruppen.
Wie viele Lehrer des Kollegiums demnächst zum Präsenzunterricht erscheinen werden, wird gerade ermittelt. Für Kollegen mit entsprechenden Vorerkrankungen, Alter oder Schwangere besteht ein Beschäftigungsverbot.

Tag 43 (27. April)
Die Abiturienten können nach verbindlicher Anmeldung freiwillig zur Abiturprüfungsvorbereitung kommen. Es besteht mittlerweile Maskenpflicht, sobald man sich durch den Klassenraum oder das Schulgebäude bewegt. 
Die Abiturienten, die keine Maske haben, bekommen von der Schule eine Maske ausgehändigt. Dazu stehen wir mit drei Kollegen am Montag morgen zu drei zeitlich versetzten Terminen im Foyer, um die Schüler ohne Maske abzufangen und zu bestücken, bevor sie ihren Vorbereitungsraum betreten. Je nach Raumgröße passen nicht mehr als 6 bis 12 Schüler in einen Raum. Der Raum darf pro Tag auch nur von einer Lerngruppe benutzt werden und wird dann erst wieder gereinigt, bevor er von einer anderen betreten werden darf. Hoffentlich zollt das Corona-Virus unseren Bemühungen Respekt.

Tag 46 (30. April)
Die nächsten Beschlüsse der Politik zur weiteren Öffnung des Unterrichts in den Schulen ab dem 4. Mai stehen an.

Entscheidungen werden gefühlt nur noch von Woche zu Woche je nach aktueller Situation bekannt gegeben. „Man fährt auf Sicht“, um die Bundeskanzlerin zu zitieren.
Wie lange der Zustand noch andauern mag, weiß niemand. Die Optimisten behaupten über den Sommer, die Pessimisten meinen, das Corona-Virus beschäftigt uns noch das ganz Kalenderjahr. Wir werden sehen…


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